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Beitrag vom 09.10.2009
Die Nacht der befreiten Sängerinnen
AVIVA-Redaktion
Im Rahmen des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen findet das Künstlerinnenprojekt in Zusammenarbeit mit "Terre des Femmes" und "Ahoi" am 25. November 2009 im Festsaal Kreuzberg statt.
Internationale Musikerinnen mit verschiedenen kulturellen und biographischen Hintergründen laden ein zur Teilnahme an ihrer Musik, ihren Emotionen und Sehnsüchten.
Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung sind Begriffe, die nicht in jeder Kultur auf die gleiche Selbstverständlichkeit treffen, wie im Abendland. Vor allem in den ländlichen Regionen afrikanischer und asiatischer Länder, in denen sich der Modernisierungsprozess sowohl auf wirtschafts-politischer als auch auf ethnisch-sozialer Ebene nur mäßig durchsetzt, aber auch in abgesonderten Gesellschafts-Nischen westlicher Staaten, in denen die Traditionen und religiösen Lebensformen weiterleben, bleibt dies in erster Linie dem männlichen Geschlecht vorbehalten.
In der Welt der Frauen dreht es sich meist lediglich um abstrakte Vorstellungen, deren Realisationen im Leben genauso unvorstellbar scheinen, wie die Idee einer nicht-patriarchalen, gleichberechtigten Gesellschafts- oder Familienordnung. Oftmals bedarf es – um den repressiven Konventionen zu entkommen und den Freiheitsstatus westlicher Frauen zu erreichen – eines langen und schmerzhaften Befreiungskampfes mit der eigenen Kultur, den Wurzeln und mit sich selbst.
In Zusammenarbeit mit "Terre des Femmes" hat es sich "Ahoi" zum Ziel gesetzt, Frauen aus diesen Kulturkreisen bei diesem teils lebenslangen Konfliktbeseitigungsprozess zu unterstützen. In der Hoffnung, eine Umstrukturierung der Geschlechterordnung auch in anderen Kulturen zu verwirklichen, soll die "Nacht der Befreiten Sängerinnen" erinnern und aufrütteln.
Das Projekt beruht auf der Idee Chihas.
Chiha – die mystische Stimme aus Tunesien
Chiha (arab.: Heilpflanze Wermut) wurde 1945 im Süden Tunesiens geboren. Schon früh fiel ihr Talent auf und man ermöglichte ihr ein Gesangsstudium an der Nubat-Universität Rashidia in Tunis. Dort beschäftigte sie sich intensiv mit der alten arabisch-andalusischen klassischen Tradition und der Kunst des Nubat-Gesanges, dessen Erlernen nur wenigen SängerInnen vorbehalten bleibt. 1968 betitelte sie der Präsident von Tunesien Habib Burgeba mit dem Ehrennamen "Wafa Khaldia" (Die ewige Treue) und sie wurde bis 1971 die 1. Sängerin am Palast in Karthago. Später folgten zahlreiche Tourneen, Rundfunk- und Fernsehkonzerte, die sie im In- und Ausland bekannt machten. Schon während ihrer Studienzeit verspürte Chiha den Wunsch, ihre Musiktradition mit der Europäischen zu verknüpfen.
Aus einer angesehenen und traditionsverhafteten Familie aus dem Süden Tunesiens stammend, musste sie seit ihrer Geburt darunter leiden, dass sie als Mädchen zur Welt kam. Schon in frühester Kindheit entschied sie, niemals die Rolle der Sklavin, die ihr das Leben ihrer Mutter und der anderen Frauen des Dorfes bestimmte, zu übernehmen. Sie fuhr als einziges Mädchen des Dorfes mit dem Fahrrad, ging schwimmen und spielte nur mit Jungen. Die strengsten Strafen musste sie dafür immer wieder in Kauf nehmen, da Handlungen solcher Art für Mädchen mit einem strikten Verbot belegt waren. Chiha lebte bis zu ihrem 17. Lebensjahr unter diesen Bedingungen. Erst durch den Tod ihres Vaters eröffnete sich ihr die Aussicht auf Freiheit. Weil Chiha ihr Leben in Freiheit lieben gelernt hat, wünscht sie allen unterdrückten Menschen, dass auch sie ihre Freiheit erlangen.
Gihad Gibreil & Sudanese Allstars - Afro Arabic Rock - Traditional Songs
Gihad Gibreil praktizierte bereits im Kindesalter mit anderen Mädchen und Frauen Gesang und komponierte Lieder. Sie kommt aus einer berühmten Musikerfamilie. Gihad setzt sich mit ihren Konzerten für den Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung in Afrika ein. Ihr Anliegen ist es, die Problematik ins Licht der europäischen Aufmerksamkeit zu rücken und Interesse für ihre Beseitigung zu wecken.
Sudanese Allstars verfügen somit über eine authentische Sängerin mit einer starken Ausstrahlung und breitem, von Lebendigkeit geprägten Repertoire, die im Zusammenspiel mit den sudanesischen MusikerInnen lebendige und stimmungsreiche Konzerte zu geben vermag. Mit ihrem besonderen Interpretationsvermögen schafft es die Sängerin, alte Traditionen in einen neuen Kontext zu setzen und jene rhythmisch-gefühlvolle Musik nun entgegen ihren ursprünglichen Anlässen und Absichten einzusetzen.
Youn-Hwa - Koreanische Tänze & Trommeln, unter der Leitung von Song-Za Cho
Youn-Hwa präsentieren klassische Hof- und traditionelle Volkstänze aus dem alten Korea. Maßgeblich von zwei Elementen bestimmt – Hung (die innere Stimme) und Mot (Charme, Grazie und geistige Inspiration) – offenbart sich der koreanische Tanz in wunderschöner harmonischer Choreografie.
Chung-Noh Gross
Ausstellung und Filmausschnitte: "Give me back my youth"
In erschütternden Bildern zeigt die Aktivistin Chung-Noh Gross die Schicksale Koreanischer Frauen, die im Zuge des Asien-Pazifikkrieges zur Zwangsprostitution genötigt wurden. Von 1931 bis 1945 ließ die damalige japanische Militärregierung insgesamt 200.000 Jungfrauen aus asiatischen Ländern verschleppen und als Prostituierte von den japanischen Soldaten missbrauchen. 80% der betroffenen Frauen sind Koreanerinnen.
Sie werden die Trostfrauen genannt. Nach einer 55-jährigen Schweigeperiode, die erst 1991 gebrochen wurde, klagten die Betroffenen Hak-Sun Kim sowie drei weitere Frauen gegen die japanische Regierung und verlangten die offizielle Entschuldigung und Entschädigung. Doch trotz der Aktivitäten der betroffenen Frauen und trotz internationaler Bemühungen wurden ihre Forderungen bis heute missachtet!
Ausstellung und Film (Regie: Won-Sang Han) zeichnen Geschichte und Leben der Trostfrauen nach und laden zur Diskussion (18:00 – 20:00 Uhr) mit Chung-Noh Gross ein.
Sumeya – Oriental-Pop & Sufi-Soul, Funk, Jazz, Club Grooves aus Syrien
Die charismatische Sängerin Sumeya wuchs in einem syrischen Elternhaus in Deutschland auf. Die Gegensätze des Orients und des Okzidents erfuhr sie in ihrer Familie mit einem konservativ-strengen Vater und einer traditionell orientierten Mutter als sehr problematisch und kaum vereinbar, was dazu führte, dass sie mit 17 Jahren ihr Elternhaus verließ. Sie begann schon im Kindesalter zu singen, Songs zu covern und zu schreiben und trat international mit mehreren Chören und Bands auf.
Vor allem in den ersten Jahren thematisierten ihre Lieder die erlebten familiären Konflikte, wodurch sie auf dem Weg zur inneren Befreiung und zum Leben ihrer eigenen Wahrheit zuhause und später auf der Bühne essentielle Kraft erfuhr. Dass Leben nicht nur Durchhalten und Überleben bedeutet, erfuhr sie erst viele Jahre nachdem sie sich mehr und mehr aus der muslimisch geprägten Haut ihrer Eltern geschält hatte.
Unter anderem setzt sich Sumeya durch ihre Arbeit als Musikerin für die Befreiung von Frauen und Männern ein. Das generelle Verstehen und Auflösen innerer und äußerer Fesseln, die uns als Kinder angelegt wurden, ist ihr Anliegen. Sie möchte mit ihrer Musik Menschen jeglichen Hintergrunds auffordern mutig sich selbst zu leben, ohne anderen dadurch zu schaden.
Ihre orientalische Herkunft trifft auf den Gitarristen Thomas Janowskij, der einen Background in allen modernen Stilistiken hat. Gemeinsam präsentieren sie bekannte arabische Folk- und Sufi-Songs und selbst komponierte Musik.
Poetic Pilgrimage – Muneera Rashida & Sukina Abdul Noor – Hip Hop – Poetric Slam – Rebel Music
Das rebellische Duo aus London mit Jamaikanischen Wurzeln überzeugt durch progressiven Hip Hop, versetzt mit afrikanischer und karibischer Tradition. Doch auch mit Jazz, Afrobeat, Soul und World Music stehen die Frauen für eine wilde Mixtur kosmopolitischer Einflüsse.
Die Musliminnen gelten als Vorreiterinnen und sind bisher die absolute Ausnahme in der muslimischen Hip Hop-Szene. Dort setzen sie sich für die Emanzipation der Frauen ein. So zeigen sie durch ihre Präsenz in der Musikszene, dass traditioneller, der Religion angelehnter Lebenswandel und Partizipation am modernen Leben mit allen dazugehörenden schöpferischen Möglichkeiten der Selbstentfaltung sich nicht zwangsweise ausschließen müssen. In diesem Kontext soll ihre musikalische Arbeit jungen Frauen als Ansporn dienen, Selbstbewusstsein fördern und inspirieren.
Weitere Informationen zum Programm des Abends und zu den Künstlerinnen finden Sie unter: www.aviva-berlin.de und www.ahoi-kultur.de